Gothic Verbrechen lohnt sich nicht und wird in Kriegszeiten schwer bestraft. Seit die Orks in Scharen in das Land einfallen, winkt selbst bei kleinsten Vergehen eine drakonische Strafe. Alle Männer des Landes wurden zum Dienst an der Waffe herangezogen. Doch um Waffen her- zustellen, braucht man Erz. Und um Erz abzubauen, benötigt man Minenarbeiter. Da niemand gerne freiwillig in den Erzminen arbeitet, werden Verbrecher zur Zwangsarbeit in der Strafkolonie ver- urteilt, einer unwirtlichen Gefängniswelt mit Wäldern, Dörfern, Festungen, alten Tempelanlagen und natürlich Minen und Höhlen, die von einer magischen Barriere umgeben wird. Ausgerechnet hier beginnt ihr euer Abenteuer. Natürlich habt ihr nur einen Gedanken: Flucht! Doch die Barriere lässt sich nicht ohne weiteres überwinden, und so macht ihr euch daran, die Gefängniswelt aus der Dritten-Person- Perspektive zu erkunden. Eurem Helden bleibt nicht lange verborgen, dass in der Gefängniswelt zwei rivalisierende Gruppen das Zepter schwingen. Das Alte Lager unter Führung der Erzbarone und das Neue Lager, eine kleine Gruppe von Abtrünnigen, die ihre eigene Mine betreibt und sich mit Fluchtgedanken trägt. Unterstützt werden die Rebellen von den Führern des Sektentempels, die seit langem das Ende der Welt prophezei- en. Außerdem gibt es noch an die zwölf Gilden, die untereinander zerstritten sind. Statt sich vor Spielbeginn stundenlang darüber den Kopf zu zerbrechen, welche Attribute und Fähigkeiten ihr eurem Helden geben wollt, entscheidet ihr euch nach kurzer Spielzeit für eine der vier verschiedenen Charakterklassen. Allen Draufgängern sei der Krieger empfohlen. Wer seine Aufgaben lieber mit dem Schwert als mit dem Köpfchen erledigt und jede Diskussion mit schlagenden Argumenten im Keim ersticken möchte, der sollte sich als Krieger den Weg in die Freiheit erkämpfen. Leisetretern und listi- gen Zeitgenossen sei der Dieb empfoh- len, der sich an seinen Feinden vorbei- schleicht und alles stiehlt, was nicht angewachsen ist. Als Magier verlasst ihr euch ganz auf eure Zaubersprüche, die auf Tastendruck als rotierender Kreis über eurer Spielfigur erscheinen. Ein Klick mit dem Cursor und der ausgewählte Zauberspruch kann grafisch eindrucksvoll in die Tat umgesetzt werden. Doch nicht nur imposante Angriffszauber stehen euch als Magier zur Verfügung. Wenn euch nicht wohl in eurer Haut ist, könnt ihr euch kurzerhand in einen Käfer ver- wandeln und unbemerkt scheinbar uner- reichbare Winkeln erkunden. Charakter Nummer vier verfügt sogar über Psi- Kräfte. Neben mentalen Attacken kann der Psioniker Kraft seines Geistes von anderen Personen Besitz ergreifen und sie für sich kämpfen lassen. Hat er sich Dank seines unfreiwilligen Helfers seiner Feinde entledigt, entwaffnet er sein Opfer und beseitigt es. Auf eurem Weg werdet ihr über 250 Nicht-Spieler-Charakteren begegnen. In unzähligen Gesprächen erfahrt ihr wichti- ge Details über die Gefängniswelt und staubt ganz nebenbei so manchen Auftrag ab. Erfüllt ihr eine Mission, win- ken euch nicht nur nützliche Gegenstände als Belohnung, sondern auch eine Verbesserung eurer Fähigkeiten und die Freundschaft einer Gilde. Allerdings gilt bei fast allen Aufträgen die Devise: Alles kann, nichts muss. Ihr könnt die meisten Aufträge auch ausschlagen und euch ganz auf eure Flucht konzentrieren, verzichtet damit aber gleichzeitig auf wertvolle Gegenstände und Informationen. Die erstaunliche Handlungsfreiheit hebt Gothic wohl tuend von anderen 3D- Actionabenteuern ab. Statt sich unent- wegt an einem roten Handlungsfaden entlangzuhangeln, bewegt ihr euch ebenso frei wie in einem Rollenspiel. Alle Bewohner der Gefängniswelt gehen ihren eigenen Beschäftigungen nach, haben ihre eigenen Sorgen und Nöte und reagieren ganz individuell auf eure Helden- oder Missetaten. Ertappt man euch etwa bei dem Versuch, den Angehörigen einer Gilde zu bestehlen, ist sofort seine ganze Sippe auf den Beinen, um euch eine schmerzhafte Lektion zu erteilen. Gelingt es euch aber, unbemerkt in den Besitz des gewünschten Gegenstands zu kommen, seid ihr weiter- hin ein gern gesehener Gast der Gilde. Da sich die Nicht-Spieler-Charaktere an frühere Begegnungen mit euch erinnern, haben es diplomatische Naturen leichter, denn in der Gefängniswelt gibt es so schon genug Feinde, ohne dass man es sich auch noch mit den Gilden verscher- zen sollte. Denn neben gefährlichen Rieseninsekten, Fleischwanzen und Aasfressern wimmelt es in Gothic nur so von Orks und Goblins, die das land unsi- cher machen. Auf Grund der hohen Gegnerintelligenz werdet ihr mit blind- wütigen Schwerthieben nicht sehr weit kommen. Bevor ihr mit dem Schwert in den Kampf zieht, solltet ihr unbedingt einen Lehrmeister aufsuchen, der euch im Umgang mit Waffen unterrichtet. Eure Feinde agieren äußerst schnell und tak- tisch geschickt. Merken sie, dass sie euch unterlegen sind, gehen sie in Deckung oder fordern Verstärkung an. Außerdem lassen sich nur wenige Gegner mit einem Streich erledigen, und es ist schon ein kräftiger Feuerzauber nötig, um einem Zombie einzuheizen. Mit Gothic ist es dem deutschen Entwickler-Team Piranha Bytes gelungen, eine komplexe Rollenspielwelt im 3D- Gewand zu erschaffen. Die epische eschichte ist mit viel Action in Szene gesetzt, und die Spannung kommt nicht zu kurz. Große Handlungsfreiheit und einfache Bedienung machen das Spiel auch für Einsteiger interessant. Profis beißen sich an 25 verschiedenen Arten von Monstern und ihrer hohen künstli- chen Intelligenz die Zähne aus und wer- den für ihre Mühen mit einem anspruchs- vollen Magiesystem und in Echtzeit aus- getragenen Kämpfen belohnt. Man merkt den Entwicklern an, dass sie begei- sterte Rollenspieler und große Fantasy- Fans sind. Alle Bewegungsabläufe und der Kampfmodus sind durch das Motion- Capturing Verfahren flüssig und varian- tenreich in Szene gesetzt. Es macht Spaß zu beobachten, wie sich die eigene Spielfigur entwickelt, und zu sehen, wie die Talentwerte merklich steigen und welche Waffe oder Rüstung der Held trägt. Frank Neubauer