gamecaptain.de 03/2001 27.03.2001 Gothic Hersteller: Piranha Bytes Genre: Rollenspiel vergleichbar: Ultima 9, Might and Magic 8 getestet von: Michael Mombeck Test vom: 27.03.2001 Ein 3rd-Person-Rollenspiel aus deutschen Landen, das sich anschickt gegen die großen alten Weltenschöpferserien Ultima und Might and Magic anzustinken - spannende Idee, aber auch realistisch? Andererseits bieten die gerade erwähnten Altserien zum Leidwesen der Fans schon lange keine ungetrübte Spielfreude mehr. Einfallslosigkeit, zuwenig innovative Elemente, mangelnde Komplexität oder zu lahme Präsentation (M&M). Wäre ja schön wenn ein Außenseiter sich hier an die Pole Position setzen könnte. Nach der Demoversion war ich allerdings eher etwas skeptisch, zu düster, ruppige NPC`s und diese furchtbare Steuerung machten mich nicht gerade neugierig auf das fertige Spiel. Das wiederum flattert dem geneigten Käufer in einer recht biederen Box mit schmucklosen Begleitheftchen ins Haus und gönnt sich erstmal eine ausgedehnte Installation. Der erste Start verheißt Übles, außer dem Namenslogo ist nix zu sehen und der hochgezüchtete Rechenschieber schweiget still. Aber siehe da, nach geschätzten 2-3 Stunden (subjektives Zeitempfinden), geht es dann doch weiter und wir begeben uns geradewegs in die mittelalterlichen Welt Myrtana. Manch`gute Geschichte beginnt mit einer Bauchlandung... Vielleicht wäre hineinstürzen oder aufklatschen die bessere Umschreibung, denn genau das widerfährt unserem Helden. Er, ein Sträfling, der wegen einer winzig kleinen Verfehlung in die Strafkolonie Khorinis verbannt werden soll, erhält einen herzhaften Stoß, der ihn durch die kuppelförmige, magische Barriere befördert, die den ganzen Landstrich vom Rest der Welt abschottet. Diese blitzdurchzuckte Energiekugel, einst errichtet zum Schutz der kostbaren Erzbestände von Khorinis, wurde durch die Stümperei der beteiligten Magier zu einem ernsthaften Problem für Ihre Majestät Rhotbar dem Zwoten. Erstens wurde das Teil viel größer als erwartet, dann schloß es die Zauberer mit ein und als Krönung: kein Mensch kommt an einem Stück wieder aus der Kuppel heraus. Die eingeschlossenen Mörder, Diebe und Vaterschänder übernahmen kurzerhand das Kommando, murksten die Wachen ab und ließen nur aus Schiß die Zauberer unversehrt. Das liegt nun schon einige Jährchen zurück und längst hat man sich mit der Situation arrangiert. König Rhotbar schiebt den Knastis alles was das Leben lebenswert macht durch die Barriere und erhält dafür postwendend das für die Waffenherstellung so wichtige magische Erz. Waffen sind knapp, Orkhorden bedrängen das Land und der König läßt auch die geringsten Vergehen mit Verbannung sprich Frondienst bestrafen. Unser bemitleidenswerter Held, wir erinnern uns, segelt also als ein Opfer dieser Politik geradewegs durch die Barriere und nach einem metertiefen Sturz in einen Teich. Platsch und blubb. Der Mann taucht auf, robbt zum Ufer, sieht auf Bodenhöhe drei Stiefelpaare, schaut nach oben und bekommt von den drei lächelnden Herren zur Begrüßung erstmal ordentlich was aufs Maul. Tusch! Ein neuer Mensch mit Musketierbartwuchs betritt die Szene, verscheucht die Rüpel und stellt sich als Diego vor. Der liebe Diego beantwortet per multiple choice unsere ersten Fragen und ist auch im weiteren Spielverlauf ein hilfreicher Mensch. Unser erster Spaziergang führt uns durch eine karge Bergwelt an einem bewaffneten Außenposten und einer stillgelegten Mine vorbei ins alte Lager. Idyllisches und raue Sitten Und dieser kleine Trip läßt mich erstmals aufmerken. Oha, wirklich schöne Grafik, grandiose Landschaft - hübsch anzusehen und es wirkt sehr natürlich. Die Optik und das "Reisegefühl" erinnern mich noch am ehesten an das Everquestfeeling nur wirken die Locations wesentlich detaillierter und echter. Die ersten Viecher (Fleischwanzen- örks) rammen wir mittels einer gefunden Spitzhacke ungespitzt in den Boden nur um ein paar Meter weiter vor einem merkwürdigen Scavanger Reißaus zu nehmen. Und die Steuerung? Null Problemo, die Maussteuerung wurde gerade noch rechtzeitig mit eingebaut, so das man sich nur an das etwas merkwürdige Zweitastenkampf, -zauber und -inventarsystem gewöhnen muß. Die Maus dient der Rundumsicht und dem Richtungswechsel, die Pfeiltasten der Fortbewegung, dabei schauen wir Mr. Namenlos von hinten übers Kreuz. Langsam nähert sich unser Freund dem sogenannten alten Lager, welches schwer befestigt einer mittelalterlichen Stadtfestung gleicht. Die Stadtwachen und die ersten Bewohner denen wir begegnen machen durch unmißverständliche Ansagen klar, welchen Stellenwert wir in dieser entzückenden Kommune einnehmen: Den höchst nützlichen Posten einer menschlichen Fußmatte. Denn eins ist klar in dieser streng hierarchischen Männergesellschaft: Ohne Erz, ohne Kampffähigkeiten und ohne Fürsprecher ist man eine arme Wurst. Eine dumme Bemerkung, ein Schritt in die falsche Hütte, schon gibts wieder ordentlich was s.o. Äußerst beeindruckend wird uns hier eine faszinierende Klassengesellschaft präsentiert die bis ins kleinste ausgearbeitet ist. Wir sehen Menschen schlafen, essen, Musik machen, schmieden, waschen, pinkeln (!), hämmern, rauchen und heftig smalltalken. Läuft man durchs Menschengedränge hört man links und rechts die unglaublichsten Allgemeinplätze, wird von einem blasierten Gardisten angeraunzt und erpresst, spricht selbst mit den Leuten und erledigt die ersten kleinen Aufträge sprich Botengänge und erhält die ersten Erfahrungspunkte. Leben und sterben in Khorinis Kleine Mischereien mit den vor den Stadttoren herumlungernden Kleintieren bringen Fleisch, Pilze und Heilkräuter werden verkauft und in bessere Waffen oder Erz eingetauscht. Bei jedem Levelaufstieg erhalten wir Lebenspunkte und zehn Trainingspunkte, die wir entweder in Waffenfertigkeiten und Stärke/Geschicklichkeitspunkte investieren oder wir lernen das fachgerechte Ausnehmen der Jagdbeute oder doch lieber eine der Diebesfertigkeiten? Im Spiel finden sich die üblichen Waffen, Zaubersprüche und Rüstungen in ansprechender Variation und je nach Erfahrung des Kämpfers werden wir mit fortgeschrittenen Kampfanimationen beglückt. Die Qual der Wahl verläßt uns auch im weiteren Spielverlauf nicht, da gibts nämlich noch zwei weitere Lager, die dem aufstrebenden Junghero ebenfalls eine lagerinterne Karriere anbieten. Jedes Lager hat seine eigene Philosophie und will mehr oder weniger schnell der Kuppel entkommen. Hier geht alles. Ganz nach Lust und Laune streifen wir durch die Gegend, weichen den noch zu gefährlichen Monstern weiträumig aus, durchstöbern malerische Flußlandschaften, ängstigen uns des Nachts im dunklen Wald, quatschen mit den Leuten und werden so allmählich fitter. Ein völlig freier Spielverlauf der dem Spieler alle nur wünschenswerten Entfaltungs- und Charakterentwicklungsmöglichkeit läßt. Eine Klassetagebuchfunktion verhindert in der Regel das "Was muß ich nun tun?"- Problem. Und wenns mal gar nicht weitergeht, setze ich mich halt zu den Kollegen ans Lagerfeuer und brat mir mein selbstgejagtes Fleisch, rauche einen Joint (yep) oder eine Wasserpfeife (yepyep) und schau dem Feuerspucker und der Tänzerin zu, die das Rahmenprogramm für die gelungene Musikgruppe "In Extremo" bilden. Es war einmal ein Mann namens Mud.... Ein Beispiele für die unglaubliche Dynamik des Spiels: Da gibst es eine Nervensäge namens Mud der einem ständig hinterherrennt und die Ohren vollquatscht. Der läßt sich durch nix abschrecken und macht einem leicht homoerotisch gefärbte Avancen (ich kann mir Spieler vorstellen die da leicht phobisch reagieren, kicher). In den Wald locken und umnieten? Nein, da hatte ich dann doch Skrupel. Auf einem meiner Streifzüge mit Mud im engen Schlepptau geschah dann dies. Ich wurde von dicken, rosa Ratten angegriffen und Mud gab wie immer Fersengeld und verschwand hinter der nächsten Felsnase. Und wart nicht mehr gesehen. Als er auch am nächsten Tag nicht auftauchte, machte ich mir dann doch Sorgen, suchte den Ort des Verschwindens auf und entdeckte dort Freund Mud schon im skeletierten Zustand am Boden. Grenzenlose Erleichterung und brüllendes Gelächter meinerseits - noch kichernd laufe ich ein paar Schritte weiter um die besagte Felsnase und stehe vor zwei Raptorähnlichen Viechern die mich sofort anspringen und in zwei, drei Sekunden zerlegen. Nervendes darf nicht fehlen Das bringt uns automatisch zum Neuladen des Spiels und damit zum technischen Teil. Der bietet nämlich nicht immer Anlaß zur Freude. Allein die ewig langen Lade- und Speicherzeiten nerven doch sehr, dafür wird während des Spiels nur sehr selten nachgeladen. Dann haben wir noch die typischen Kinderkrankheiten wie gelegentliche Abstürze, verhakte und steckengebliebene eigene Figur und NPC`s, manchmal flackernde Texturen und wenn man den Beschwerden im Spielerforum glauben darf auch einiges an Bugs in der Storyline. Fairerweise muß man einräumen, daß der dieser Tage erschienene erste Patch eine große Menge der Ungereimtheiten und Fehler bereits beseitigt hat. Ansonsten gibt es wenig zu meckern, etwas Rechenpower sollte man schon mitbringen aber man siehts dem Spiel auch an das es das umsetzt. Die Sprachausgabe ist okay, ein paar mehr Stimmen wären schön, die Hintergrundgeräusche gefallen mir außerordentlich gut und die Musik ist eine Zeitlang recht hörbar. Zur Grafik habe ich mich ja schon lobend geäußert, auch die in weiter Ferne sichtbaren Landschaften sind perspektivisch gut dargestellt und natürlich auch erreichbar. Die Farbgebung ist insgesamt etwas braunlastig aber durch die ansehnlichen Zaubereffekte werden farbige Akzente gesetzt. Kaufen? Kaufen! Ein, zwei Gedanken zum Schluß. Das Spiel ist wie kein zweites deutlich männerorientiert - Frauen tauchen nur als Sex- oder Putzsklavinnen auf und der Ton ist durchweg recht rau. Das ist sicherlich der Story angemessen und nicht unwahrscheinlich für einen selbstverwalteten Männerknast, aber es fehlt den weiblichen Rollenspielern an Identifikationsmöglichkeiten. Besonders gelungen finde ich die Darstellung einer auf Faustrecht basierenden Gesellschaft, die trotz einem Übermaß an Muskelpower auch auf Struktur und Organisation nicht verzichten kann. Meine Empfehlung: Vergeßt Ultima und den anderen Krempel und kauft dieses Teil. Ich bin mehr als fasziniert und werde das Ding sicher mehr als einmal spielen. Schöner Knast das Einer der es nicht geschafft hat! Unser Chef, das Sackgesicht Highlanderfeeling Erst der Regen, dann noch aufmüpfige Reptilien Schöne Musik, schönes Feuer, schöner A..... Fazit: Das lebendigste und realistischste Rollenspiel überhaupt, ungeheuer spannend, motivierend und wunderhübsch. Der bereits erschienene erste Patch ist allerdings eine Pflichtinstallation. Präsentation (1-20) 17 Handhabung (1-20) 15 Atmosphäre (1-20) 19 Motivation (1-20) 19 Gesamtwertung 89 Systemanforderungen: Minimum: PII 400, 128 RAM Empfohlen: keine Angaben (PII 800, 256 RAM m.E.) Platz auf HD: 700 MB Schwierigkeitsgrad: normal-hoch